Sur Plus. Oder Sir Plus?
Bedeutet: Das Mehrprodukt oder der Surplus ist in der klassischen Nationalökonomie der Überschuss, der über das zum Leben notwendige Maß hinaus produziert wird. (Wikipedia)
Verteilung ist nicht gleich Nachhaltigkeit. Lebensmittel retten bedeutet nicht gleich nachhaltig zu wirtschaften.
Gute Idee, ungenügend umgesetzt. Das WIE ist entscheidend.
„Lebensmittel retten“ , daraus ein „Imperium“ machen?
Wem nützt das?
Damit ist im Grunde alles gesagt. 😀
Doch schauen wir uns das genauer an.
Sir Plus (https://sirplus.de/) ist ein Supermarkt für gerettete Lebensmittel. Es gibt mittlerweile 3 davon in Berlin, Tendenz steigend. Die Vorgehensweise ist, dass man Supermärkten aller Art ihre Lebensmittel für kleinen Preis abkauft, die sie nicht mehr verwenden oder in den Müll schmeißen würden. Das kann verschiedene Gründe haben. Mal sind sie abgelaufen, mal sieht die Verpackung nicht mehr hübsch genug aus, mal muss einfach Platz für neue Ware geschaffen werden oder die Weihnachtsversion muss in die Regale. Wir kennen das alle.
Die retten doch Lebensmittel könnte man sagen. Das ist doch was Gutes!
Oder?
Ja. Man muss erstmal festhalten, Lebensmittel retten ist prinzipiell erst ein mal etwas Gutes. Nur ist das auch nachhaltig gesehen gut? Oder alles nur Einbildung?
Und gut für wen?
Gut für die Menschen, die guten Gewissens einkaufen möchten. Immerhin kauft man gerettete Waren und spart sich den Besuch im Supermarkt. Man unterstützt also etwas Gutes. ?
Genau hinsehen!
Schaut man sich das Konzept an, wird deutlich, dass diese „geretteten“ Lebensmittel den Supermärkten abgekauft werden. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass man den Supermärkten einen Deal anbietet, ein Geschäftsmodell. Was bedeutet das? Diese Supermärkte können nun ihren „Müll“ noch zu Geld machen. Was bedeutet das? Supermärkte brauchen nicht mehr darauf zu achten, wieviel Müll sie anhäufen, sie können nämlich jetzt alles weiter und schneller verscherbeln an Sir Plus. Das gibt ihnen die Möglichkeit ihren Lebensmittelmüll zu legitimieren und sogar noch mehr als üblich anzuhäufen, da es ja jetzt positiv in der Geschäftsbilanz erscheint, es lässt die Kasse klingeln. Aus diesem Augenwinkel betrachtet, erscheint das große Ganze schon nicht mehr als etwas sonderlich Gutes, da es, wie erwähnt, den Unternehmen dazu verhilft ihren Lebensmittelmüll zu legitimieren und ungeachtet zu vergrößern.
Schauen wir weiter.
Als Kunde von Sir Plus hat man sich persönlich Erleichterung verschafft. Das ist ein gutes Gefühl. Aber ist es das Wert?
Indem man in den selbsternannten „Retter“-Supermarkt geht, kauft man nicht mehr im altbekannten Supermarkt ein. Man entzieht ihm somit seine Unterstützung. Nachfrage bestimmt das Angebot, heißt, wenn die Menschen die LM bei Sir Plus billiger bekommen, ist diese Nachfrage nach geretteten LM natürlich größer. Was wiederum heißt, das Angebot an geretteten LM wird größer, also letztendendes mehr Müll. Man gibt seine Stimme ab für „Ja, ich bin dafür Lebensmittel retten“. Fühlt sich gut an, nicht? Nur was ist noch zu beachten? Zu beachten ist, dass trotzdem nicht weniger prodoziert wird. Zu beachten ist, dass sogar noch mehr produziert wird! Denn wie wir schon festgestellt haben, ermöglicht Sir Plus den Konzernen ihren Müll zu verkaufen. Vorher für die Entsorgung gezahlt, bekommt ein Konzern nun noch Geld dafür. Das liebt jeder Konzern! Das heißt im Umkehrschluss aber eben auch, dass man selbst als Kunde bei Sir Plus seine Stimme einfach auf eine längere Reise schickt. Im Endeffekt aber unterstützt man damit wiederum die Wegwerfgesellschaft und treibt sie sogar noch an. Man sollte sich dessen bewusst sein! Und wo sieht sich Sir Plus in 3 Jahren? Wohl als Imperium, expandiert über die ganze Welt.
Supermärkte schmeißen ihre LM also noch schneller weg! Müssten Lebensmittel nicht eigentlich teurer werden um die nötige Wertschätzung gegenüber den Erzeugern zu signalisieren bzw. müssten nicht die Erzeuger, wie Landwirte viel mehr am Gewinn des Handels beteiligt werden? Sir plus macht aus Abfall richtig Schotter. Lol, so könnte man einwenden. Und wer rennt so in den Laden? Die Menschen die eigentlich Geld haben, sparen wollen und eher zum Geiz neigen?
Trittbrettfahrer die versuchen mit Produkten maximales Geld zu machen sind sie sicher nicht aber so eine gute Lösung um der Verschwendung insgesamt etwas entgegenzusetzen auch nicht wirklich, wie auf ihrer Homepage angegeben:
„Was ist euer Ziel?
Wir wollen das Lebensmittelretten ‘mainstream’ machen und so die Verschwendung massiv reduzieren! Wir wollen alle Lebensmittel wertschätzen und ihnen den Weg zurück in den Kreislauf des Lebens ebnen. Wir wollen allen Konsumenten und Produzenten, aber auch gemeinnützigen Einrichtungen eine Lösung bieten, um Verschwendung und Überproduktion nachhaltig zu reduzieren. Wir wollen die Ressourcen unseres Planeten bewahren!“ (https://sirplus.de/pages/faqs-haufige-fragen)
Wenn man eine gute Idee ohne Schutz auf ein so durchtriebenes Spielbrett wie dem des Monopol & Finanz- Kapitalismus platziert, wird sie sich in ihr Gegenteil verkehren. Das heißt, die Idee wird dem Kapital dienen, ob das der Begründer so wollte oder nicht. Fast genial, könnte man das nennen, wenn es nicht so viel Ungleichheit produzieren würde! Das Spielbrett ist so designed. Da gibt es nichts zu diskutieren. Höchstens zu verändern.
Schutz einer Idee würde man beispielsweise durch eine gemeinnützig festgelegte Satzung oder eine entsprechende Rechtsform erreichen. Man zieht somit eine Art Schutzschild über die Idee und lässt sie nicht infizieren. Das heißt zwar, dass der große Profit ausbleibt. Aber auch, dass der ursprünglich gewollte Effekt erhalten bleibt.
Ein Beispiel ?
Das „Crumme Eck“ in Halle (Saale). (http://crummeseck.de)
Es ist in der Rechtsform eine gemeinnützige Rechtsform, eine gemeinnützige UG.
In der Satzung wurde verankert, dass es im Rahmen der Nachhaltigkeit funktionieren muss. Das heißt, ökologisch, sozial, wie ökonomisch langlebig der Allgemeinheit zu dienen hat.
Im „Crummen Eck“ gibt es 5 Bereiche, die genutzt werden. Ein Bereich davon ist der Ladenbereich für gerettete Lebensmittel. Dort werden auf ca. 25 Quadratmetern gerettete Lebensmittel gegen freiwillige Spende angeboten, die von Institutionen in und um Halle eingesammelt werden. Die eingenommenen Spenden werden benutzt um den Laden zu erhalten, d.h. die Miete, die Versicherung, den Transporter sowie das Transportgeld zu bezahlen. Alle Mitwirkenden setzen sich ehrenamtlich für den Laden ein. Alles über diesen Rahmen hinaus eingenommene Geld, der Mehrwert (Surplus) also fließt in nachhaltige regionale Projekte, die von den Kunden und Kundinnen selbst gewählt werden können. Und wo sieht sich das Crumme Eck in 3 Jahren? Im Grunde ist das Ziel, dass es den LM-Retter-Bereich dann nicht mehr geben muss, da geeignete Lösungen gefunden und umgesetzt wurden um die LM-Verschwendung zu beenden. Das ist Sinn und Zweck eines Social Entrepenuerships. Lösungen in Form von Projekten/Unternehmertum zu starten, die sich dann transformieren, weil sie Teil der Lösung sind, nicht des Problems! Impulsgeber, Zeichengeber, Experiment und Augenöffner. Nicht mehr und nicht weniger.
Es fällt auf, dass es hier auch um gerettete Lebensmittel geht. Nur mit dem kleinen aber feinen Unterschied, dass es kein Geschäftsmodell ist. Sondern ein nachhaltiges Experiment. Ein Lösungsvorschlag wenn man so möchte. Ein guter? Das muss jeder für sich selbst beantworten.
Beide Ideen setzen sich für Lebensmittelrettung ein. Aber nicht beide Ideen setzen sich auch gegen eine langfristige Lebensmittelmüllverschwendung geschweige denn Verbesserung der Verhältnisse ein!
Die cecke Idee kauft den Unternehmen die LM nicht ab. Sie bietet Ihnen lediglich die Möglichkeit dem Laden ihre überschüssigen oder abgelaufenen LM zu überlassen. Dort werden dann die noch genießbaren Lebensmittel, die zuvor im Mülleimer gelandet wären von Menschen verbraucht und das ist jetzt der wichtige Unterschied: Überschüssige Lebensmittel werden zwar in Geld umgewandelt, aber dieses Geld dient nicht der Profitmaximierung sondern! –> dem Wachstum neuer nachhaltiger Ideen, die wiederum einen gemeinnützigen Mehrwert erschaffen.
Verschafft man sich nun erneut einen Überblick, erscheint Sur Plus und die Folgen dieses neuen „Retter-Imperiums“ in neuem Licht.
Tatsächlich fördert es den LM-Müll anstatt ihn einzudämmen oder ihm einen anderen Zweck zuzuführen.
Tatsächlich legitimiert es die Unternehmen zu weiterer LM-Verschwendung, anstatt Ihnen ihre soziale Verantwortung vor Augen zu führen.
Tatsächlich rettet sich Sur Plus nur selbst, anstatt einen echten Beitrag zur Lebensmittelverschwendung zu leisten.
Tatsächlich reproduziert es die bestehenden Verhältnisse nur, anstatt Alternativen anzubieten oder einzuschlagen.
Tatsächlich schafft Sur Plus noch mehr Konsum.
Tatsächlich macht Sir Plus kleineren Läden das Leben schwer und kostet schlechtenstenfalls Arbeitsplätze, da die Kunden abgezogen werden. Denn kleinere Läden können mit den Niedrigpreisen nicht mithalten.
Tatsächlich scheint Sur Plus nur ein weiteres Teil des Problems zu sein.
Der Grundgedanke is nicht verkehrt. Der Ansatz schon und das Ergebnis erst recht.
Das klingt jetzt hart aber nach dieser Sichtweise, nicht anders auszudrücken.
Positiv ist, dass Sur Plus schafft einigen Lebensmitteln mehr Wertschätzung entgegenzubringen, indem sie nicht im Müll landen, sondern im Magen von Menschen. Was nicht weg zu reden ist und wirklich eine gute Sache darstellt.
Fällt Jemandem weiteres Positives dazu einfällt, möge er jetzt und hier bitte schreiben.
Jetzt erscheint dieses Kommentar zu der folgenden Frage schon fast aberwitzig:
„Was unterscheidet euch von Tafeln und foodsharing?“
„Wir verfolgen das gleiche Ziel wie andere Organisationen, die sich für die Wertschätzung von Lebensmitteln einsetzen. Wir wollen das Lebensmittelretten weiter professionalisieren und allen Menschen den Zugang zu überschüssigen Lebensmittel geben.
Unser Ziel ist es, die Tafeln und andere Organisationen zu ergänzen und gemeinsam mit ihnen das Problem ganzheitlich zu lösen. Wenn Millionen von Menschen gerettete Nahrung konsumieren können, ist es möglich die Lebensmittelverschwendung nachhaltig zu reduzieren.“ (Quelle: https://sirplus.de/pages/faqs-haufige-fragen)
Professionalisieren Huhm.
Wenn Millionen von Menschen gerettete Nahrung konsumieren können, wird Sir Plus richtig Kohle scheffeln und einfach ein verlängerter Arm der anderen Supermärkte werden. Letztenendes ist das bestenfalls eine Umverteilung von Lebensmittelverschwendung, keine Lösung. Schade Marmelade.
Ciao Cacao.
Wer denkt an die Kunden die wenig Geld haben wie mich?
Der Magen ist begrenzt, wenn er voll ist kann nur leidvoll mehr verbraucht werden. Es wird nicht mehr verkauft.
Warum ist Geld verdienen etwas schlechtes?
Ist betteln und vom Sozialamt leben besser?
Entscheidend für den wirklich wichtigen Sir Plus ist, das freiwillig und ohne Schaden für Mitmenschen und Umwelt gehandelt und kooperiert wird.
Mehrwert auf der Geld- u. Gebrauchswert-Ebene zu erzielen ist nur Hilfsmittel um bessere Bewertungen für die aktuelle Handlungswahl zu ermöglichen jetzt, jetzt… und einen Gewinn auf der Genuss-Wert-Ebene zu erzielen, das Wohlbefinden und das Allgemeinwohl zu steigern.
Jeder kann seine Geldeinnahmen, die er nicht selbst braucht, zur Steigerung des Allgemeinwohls einsetzen. Wenn er andere darüber entscheiden lässt wie es verwendet wird, wird dann das Gemeinwohl mehr gesteigert?
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Lieber Alfred, genau das ist der Punkt. „…freiwillig und ohne Schaden für Mitmenschen und Umwelt gehandelt und kooperiert wird.“ Was dabei unbeachtet bleibt, sind die unintendierten Folgen, die in diesem System eben geschehen. Wie im Text beschrieben entstehen Schaden für Mitmenschen und Umwelt durch die Handlungsweise Sir Plus´ bei genauerem hinsehen unweigerlich. Da geht es nicht um die Frage ob Geld verdienen oder Geld etwas schlechtes sei, das sind wichtige Themenfelder, keine Frage aber dazu müsste man ein neues Feld eröffnen. Wie du sagst, ist Geld nur Hilfsmittel, sollte es sein. Das Wohlbefinden und das Allgemeinwohl steigert sich allerdings langfristig gesehen durch Monopolisierung und weiterer LM-Müllproduktion, sowie Legitimierung dieser, nicht. Wie erwähnt: Gute Idee, langfristig schlechte Umsetzung. Doch erst die Praxis entscheidet über die tatsächliche Wirkung. Wichtig dabei ist das aufdecken blinder Flecke, ob in Theorien/Konzepten oder Wirkungssträngen der Fall.
Wenn man andere darüber entscheiden lässt, was mit dem Überschuss passiert, hat das einen ganz deutlichen Effekt. Es ist eine demokratischere Lösung, an der viele beteiligt sind. Das stärkt nicht nur die Selbstbestimmung der Teilnehmer als Individuum und Gruppe sondern legitimiert auch die Auswahl in entscheidender Weise.
Mehr bedeutet eben auch manchmal pluraler.
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